Sollten Unternehmen gendern? Pro und Contra-Argumente einer Texterin.

Von Mirja Stöcker
Sollten Unternehmen gendern, wenn sie Kunden ansprechen? Und in Werbung und Kommunikation den Genderstern benutzen? Als Werberin sage ich: Es kommt darauf an. Als Linguistin sage ich jedoch klar Nein. Nein sagt in ihrer Pressemitteilung vom 13. August 2020 übrigens auch die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS). Und die jüngste Umfrage von infratest dimap im September 2022 zeigt: Nur 16% der Deutschen ist das Gendern sehr wichtig, während die Ablehnung der Mehrheit steigt. 

Gendern und Genderstern in der Kundenansprache

Sollte man im Umgang mit Kunden gendern? Ein großes und aktuelles Thema. Reichlich spät hat sich die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) zu den sogenannten geschlechtsneutralen Personenbezeichnungen mittels Gendersternchen geäußert. Doch für Unternehmen ist diese Stellungnahme interessant. Viele fragen sich nun mal, ob sie in der Kommunikation mit Kunden und Bewerbern gendern, also die sogenannte Gendersprache verwenden sollten.

Die GfdS stellt fest, dass durch den Genderstern grammatikalisch falsche Formen entstehen. So lesen wir zum Beispiel immer häufiger von "Ärzt*in" oder "Bauer*in". Den Ärzt und die Bauerin gibt es aber nicht. Wenn dann Artikel oder Pronomen hinzukommen, wird es schnell chaotisch: die*der Schüler*in und ihre*seine Eltern – das ist weder lesbar noch aussprechbar.

Die GfdS ist übrigens durchaus für eine geschlechtergerechte Sprache. Aber: Eine Sprache, die allen Geschlechtern gerecht wird, sei auch mittels Genderstern nicht herstellbar, so die Gesellschaft. Für ein drittes, viertes oder mehr Geschlechter bräuchte es genau genommen nicht nur Bezeichnungen, sondern auch neue Pronomen, Anrede- und Flexionsformen. Das machen die oben genannten Beispiele deutlich, die weder grammatikalisch noch orthografisch vertretbar und vor allem nicht aussprechbar sind.

Ich behaupte: Die Etablierung eines weiteren Genus mit passenden Pronomina würde einmal mehr die Subsumierung von geschlechtlicher Vielfalt unter ein Genus bedeuten. Also gerade keine Sichtbarmachung. Und sie müsste am Reißbrett institutionell konstruiert und politisch verordnet werden. 

"Steuer, die": weibliches Genus, männliche Endung, aber definitiv keine Frau. Ist vielleicht alles gar nicht so eindeutig und erst recht nicht so bös gemeint, wie es verstanden wird?

Genderstern auf Papier und Knoten im Kopf

Es gibt meiner Meinung nach noch viel mehr und viel eindrücklichere Beispiele als die von der GfdS genannten. Sie machen sich Gedanken über das Gendern bei Kunden? Was ist denn beispielsweise mit Adjektiven, die generisch maskuline Substantive enthalten? Zum Beispiel "freundlich". Hier steckt der Freund drin. Und nur der. Die Freundin bleibt außen vor. Konsequent umgesetzt hieße dieses Wort künftig "freund*innenlich".

Spätestens jetzt wird klar, dass wir konsequentes Gendern weder sprechen noch schreiben können. Und mit Kunden im B2B schon gar nicht. Die haben nämlich in der Regel keine Zeit und wollen äußerst schnell zum Punkt kommen. Außerdem zeigen die diversen öffentlichen Sprachpatzer von Moderatoren und Politikern, dass der Genderstern auch den einen oder anderen Knoten im Hirn der Sprecher erzeugt. Berühmtestes Beispiel sind wohl die Steuer*innenzahler von Annalena Baerbock. Aber die Steuer ist sowieso ein interessantes Exemplar: männliche Endung, weibliches Genus, aber eigentlich sächlich. Ist vielleicht alles gar nicht immer so eindeutig und erst recht nicht so bös gemeint, wie es verstanden wird?

Sprachentwicklung und Sprechende: das Gendern bei Kunden

Zugegeben: Der Begriff der Natürlichkeit ist problematisch. Dennoch glaube ich, dass wir die Sprache nicht ihrer "natürlichen" oder automatischen Entwicklung berauben sollten. Damit meine ich: Wir sollten den Sprechenden die Entscheidung zu überlassen. Und die werden im Übrigen niemals alle gleich sprechen und auch in ihren Wertvorstellungen niemals einer Meinung sein. Vielleicht ist auch das zu akzeptieren. Sie werden aber in einem langsamen gruppendynamischen Prozess mit Sicherheit und ganz automatisch ihre Sprache den Gegebenheiten anpassen. Schließlich reden wir heute auch nicht mehr wie im Mittelalter. Genau so sicher ist es, dass wir in 500 Jahren nicht mehr wie heute reden werden. Vielleicht wird die deutsche Sprache dann das neue Latein sein, weil Englisch in einem schleichenden Prozess Umgangssprache geworden ist. Niemand kann das heute sagen. Aber keinesfalls kann man Menschen in erzieherischem Duktus in ihre Muttersprache hineinreden.

Vielen Unternehmen ist möglicherweise gar nicht bewusst, dass große Teile der Bevölkerung das Gendern von Institutionen und Organisationen genauso erleben: als erzieherische Maßnahme. Die aber lehnen sie ab, weil sie nicht erzogen werden wollen. Und raten Sie mal, was dann passiert? Genau: Druck erzeugt Gegendruck. Entsprechend ist die Zahl der Antigenderer in den letzten Jahren sogar noch gestiegen. Genauer gesagt ist es die überwiegende Mehrheit, aber dazu komme ich später noch. Diese Mehrheit jedenfalls fühlt sich von Gendersprache übrigens gar nicht adäquat angesprochen, was vielleicht auch mal einen Gedanken wert ist. 

Kein Wort allein kann Vielfalt abbilden

Das eigentliche Dilemma lautet meiner Meinung nach: Unsere Welt ist so vielfältig geworden und befindet sich in einem so rasanten Wandel, dass Sprache sie nicht immer perfekt abbilden kann. Und ein einziges Wort schon gar nicht! Wenn Identitätspolitik zur Grundlage für Orthografie, Grammatik und Syntax wird, dann wird Sprache irgendwann nicht mehr sprechbar. Denn Geschlechtlichkeit ist ja auch nur ein Teil unserer Identität. Wie wollen wir all die vielfältigen Aspekte unserer Identität in der Sprache abbilden, um niemanden auszuschließen? Ein Beispiel: Frausein ist längst so divers, dass die Unterschiede innerhalb der Gruppe "Frauen" größer sind als die Unterschiede zwischen den Gruppen "Frauen" und "Männer". Eine beruflich erfolgreiche und kinderlose Mitvierzigerin hat mit dem gleichaltrigen männlichen Manager wahrscheinlich viel mehr gemeinsam als mit der Mutter und Hausfrau, obwohl die auch eine Frau ist. So gesehen fallen Genus, Sexus und Gender immer mehr auseinander. Der Versuch, alle Lebensentwürfe in einem Wort abzubilden, ist zum Scheitern verurteilt. Und die Beharrung auf der Kongruenz von Genus, Sexus und Gender geht längst an der Lebenswirklichkeit von Menschen vorbei.

Die linguistischen Alternativen zum Gendersternchen

Sprache ist meiner Meinung nach etwas viel zu Lebendiges, um sie derart zu regulieren. Das heißt aber nicht, dass sie diskriminieren muss. Vielleicht bemerken Sie ja gerade, dass ich selbst keineswegs nur das generische Maskulinum verwende. Ich persönlich bin eine Freundin der Vielfalt. Menschlicher wie sprachlicher. Ich verwende immer wieder männliche und weibliche Formen, substantivierte Partizipien, inhärent generische Bezeichnungen, direkte Anreden oder adjektivische Ableitungen. Sprache ermöglicht bereits Vielfalt, wenn man das möchte. Eine Freundin von Verordnungen bin ich jedoch nicht. Und verordnete Vielfalt – geht das? Oder ist das nicht schon wieder einfältig?

Unternehmen und das Gendern von Kunden

Sprache sollte nicht diskriminieren. Sie sollte Kommunikation aber auch nicht verkomplizieren. Unternehmen rate ich aus kommunikativer Sicht von Gendern, Genderstern, Schrägstrich, Klammer, Binnenmajuskel & Co. ab. Das wird Ihnen zwar den einen oder anderen Vorwurf einbringen. Aber Sie müssen eh damit leben, nicht jedermanns Liebling zu sein. Und denken Sie daran: Nur 16% der Bevölkerung ist das Gendern sehr wichtig! Das ergab eine Umfrage von infratest dimap im Auftrag des WDR im September 2022. WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn dachte danach laut darüber nach, ob nicht ein öffentlich-rechtlicher Sender viel mehr die Sprache des Publikums sprechen sollte.

Fakt ist also: Unternehmen, die gendern, machen es nur 16% der Bevölkerung wirklich recht. Und ganz davon abgesehen: Viel wichtiger, als es vielen Menschen recht zu machen, ist es erst mal, möglichst viele Menschen zu erreichen. Das geht nur mit immer schnellerer Kommunikation. Und dazu trägt das Gendern sicherlich nicht bei. 

Wer den Genderstern benutzt, positioniert sich hingegen nicht nur politisch, er kommuniziert de facto edukativ. Dafür aber sind Kunden meist nicht die richtige Zielgruppe. Sicher gibt es auch Zielgruppen, die mehrheitlich Fans von Genderstern und übrigens auch von edukativer Kommunikation sind. Wenn Sie sicher sind, so eine Zielgruppe zu haben, wäre es wirtschaftlich verantwortungslos von mir, Ihnen den Genderstern auszureden. Aber bitte machen Sie sich bewusst: Auch Sie schließen durch das Gendern Menschen aus. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich hatte es mal mit einem Carsharing-Unternehmen zu tun, das derart politisch motiviert kommunizieren wollte, dass de facto alle nicht grün wählenden Menschen abgeschreckt werden mussten. Einfach weil sie nicht "die richtige" Gesinnung hatten. Ich persönlich fand das schade, auch im Dienste der Sache: Ein paar mehr car-sharende CDU-, SPD- oder FDP-Wähler wären doch nicht das Schlechteste, oder?

Fazit

Aus Sprach- und Marketingperspektive sage ich zum Gendern in der Kommunikation mit Kunden daher:

  • Kunden wollen meistens nicht erzogen werden.
  • Werbetexte sollten sofort verständlich, les- und aussprechbar sein.
  • Botschaften müssen in immer kürzerer Zeit rübergebracht werden. Texten, die mit Gendersternchen gespickt sind, wird das nicht gelingen.
  • Ihre Corporate Language sollte spontane Kommunikation nicht durch komplizierte Regeln unmöglich machen.
  • Lassen Sie sich nicht zu Entscheidungen treiben. Entscheiden Sie selbst, was für Sie passt.

Und wie stehen Sie zum Gendern bei Kunden? Ihre Meinung interessiert mich!

17.03.2023

Kategorie: Marketingkommunikation